Der Schamane des Westens

Wer wird Schamane?

Südamerikanische Schamanin, Bild flickr User awsheffield
Südamerikanische Schamanin, Bild flickr User awsheffield

Anhänger des Neo-Schamanismus lassen sich nur schwer in eine bestimmte Schublade stecken. Besonders Menschen, die im medizinischen Bereich tätig sind und über die Schulmedizin hinaus arbeiten wollen, zeigen ein großes Interesse an dem Thema. Der Neo-Schamanismus bietet mit seinem Weltbild einen alternativen Ansatz für das Verständnis von Gesundheit und Heilung. Eine weitere Sparte, aus der viele (angehenden) Neo-Schamanen kommen, ist in esoterische Berufe einzuordnen: (spirituelle) Lebensberater, Geistheiler, etc. Erdverbundenheit, Bodenständigkeit, Empathie und ein gesunder Menschenverstand sind wichtige Faktoren für erfolgreiche schamanische Arbeit.

 

Die meisten Mitglieder der Szene sind Frauen. Dies steht im Gegensatz zum indigenen Schamanismus, in dem mehrheitlich Männer als Schamanen fungieren. Damit stellt der Neo-Schamanismus keine Ausnahme dar. Auch in anderen religiösen Bewegungen ist die Mehrheit der Mitglieder weiblich, beispielsweise in charismatischen christlichen Gruppen. Studien zu dem Thema haben ergeben, dass man daraus aber nicht schließen kann, dass Frauen allgemein religiöser oder spiritueller sind als Männer.

 

Der Historiker Andrei Znamenski führte eine Studie durch, bei der er Teilnehmer von Workshops zum Thema Schamanismus befragt. Basieren auf diesem Teilausschnitt der Gemeinschaft (nicht jeder, der sich für das Thema interessiert, besucht auch einen Workshop) beschreibt Znamenski die Mitglieder der Szene als liberale, soziale und politische Menschen, die an globalen Problemen und besonders an Themen der Ökologie interessiert sind. Durch ihre Spiritualität und den Techniken des Neo-Schamanismus wollen sie durch eine Transformation des (eigenen) Bewusstseins die Gesellschaft ändern.

Die Rolle des Neo-Schamanen

Bild von flickr User Nesster
Bild von flickr User Nesster

Schamanen sind Spezialisten für die Reise in die Anderswelt. Sie verstehen die Zusammenhänge in der Natur und die Verbindungen der verschiedenen Welten. Sie können die Seelen der Toten im Jenseits besuchen und die verborgenen Ursachen von Krankheiten aufdecken. Dies alles bewerkstelligen sie durch den Einsatz bestimmter Techniken und Mittel, die den Schamanen in Trance versetzen. In manchen neo-schamanistischen Beschreibungen entsteht der Eindruck, es handle sich um ein praktisches Handwerk, das einfach zu erlernen ist und jedem zugänglich ist. Dies steht beispielsweise im Widerspruch zu der Auffassung des traditionellen, sibirischen Schamanismus, bei dem der Schamane durch die Schamanenkrankheit berufen wird.

 

Einer der bekanntesten Vertreter modernen Schamanismus ist Michael Harner. Aus seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema entwickelte er den Core Schamanismus. Im Zuge einer Feldforschung in Südamerika nahm er das von südamerikanischen Schamanen zur Tranceinduktion benutzte Rauschmittel Ayahuasca zu sich und erlebte eine Vision. Daraufhin forschte er weiter auf dem Gebiet und extrahierte im Rahmen seiner vergleichenden Studien das, was er für den gemeinsamen Nenner, den Kern des Schamanismus hält. Dies ist der Hauptinhalt des Core Schamanismum, den er als Essenz des schamanischen seelisch-spirituellen Heilungsweg bezeichnet und dessen Hauptbestandteil die Arbeit mit Trance ist. Harner ist ebenfalls Gründer der Foundation for Shamanic Studies.

 

Ein anderer neo-schamanistischer Ansatz geht auf die Psychologin und Linguistin Felicitas Goodman zurück. Sie begründete die Lehre der rituellen Körperhaltungen. Anhand von der Betrachung von Statuen und Bildern, aber auch der Beobachtung von Trance-Erlebnissen indigener Schamanen entwickelte Goodman rituelle Körpertechniken, die verschiedene Trancezustände hervorrufen. Im Unterschied zu Harners Methode wird die Trance aber nicht durch Musik, sondern durch das Einnehmen bestimmter Körperhaltungen induziert. Musik ist wie beispielsweise auch Fasten oder Räucherstäbchen nur unterstützendes Beiwerk.

 

Der Schamane als Heiler

Einer der wichtigsten Aspekte des Neo-Schamanismus ist die Verwendung schamanischer Techniken zu therapeutischen Zwecken. Oft wird davon ausgegangen, dass Krankheit eng mit der Seele verbunden ist. Ein “verloren gegangener Seelenteil” kann zum Beispiel Auslöser einer Krankheit sein. In einem solchen Fall ist die Aufgabe des Schamanen, den Seelenteil wiederzufinden. Dafür muss er Kenntnis der Jenseitstopographie haben. Auch wenn diese individuell unterschiedlich aufgebaut ist gibt es doch erkennbare Muster, an denen sich der Schamane orientieren kann. Bei einer Jenseitsreise kommuniziert der Schamane mit dem Seelenteil, um ihn von einer Rückkehr zu überzeugen.

 

Gründe für einen Seelenverlust oder andere Ursachen, die eine schamanische Behandlung für den Anhänger des Neo-Schamanismus notwendig machen können, sind z.B. Gewalt- und Missbrauchserlebnisse, Verlust von einer geliebten Person oder emotionale Krisen. Möglicherweise zeigt sich die Notwendigkeit einer solchen Behandlung auch erst auf einer schamanischen Reise, die aus anderen Gründen durchgeführt wird.

 

©kb