Religion mit Gott
Religion ist fest in unserer Gesellschaft verwurzelt und hat die Entwicklung der westlichen Kultur maßgeblich beeinflusst. Nicht umsonst spricht man immer noch vom “christlichen Abendland”. In Deutschland ist das Christentum einerseits in vielen Institutionen, z.B. Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime, vertreten und als Tradition fester Bestandteil des Familienlebens: Taufe, Hochzeit und Beerdigung genauso wie Weihnachten und Ostern. Dementsprechend wird vielen Menschen Religion “anerzogen”, sprich im Rahmen oben genannter Rituale gelehrt und weitergegeben.
Für aktive Mitglieder von Gemeinden (unabhängig von der Religion) ist der Gemeinschaftsaspekt ebenfalls sehr wichtig, selbst wenn der Glaube an Gott vielleicht keine so große Rolle (mehr) spielt. Teilweise kann sich das gesamte soziale Leben im Rahmen der Gemeinde abspielen, von der Krabbelgruppe in die Jugendgruppe zum Kirchenchor etc. Innerhalb der Gemeinde kann man sich im Idealfall auf ein soziales Netz verlassen, das einen durch die Hochs und Tiefs des Lebens begleitet.
Religionen bieten Antworten auf die großen Fragen, die sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens stellt. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Warum gibt es gut und böse? Was ist der Sinn meines Lebens? Diese Fragen können von der Wissenschaft (noch) nicht beantwortet werden, innerhalb der Religionen aber schon (zumindest metaphorisch). Hinzu kommt dieses Gefühl, dass da “etwas” ist, etwas das größer ist als wir. Dieses “etwas” ist in den Religionen Gott/Götter.
Was ist Gott?
Götter treten in verschiedenen Formen auf. Im Christentum gibt es einen einzigen Gott, der allmächtig, allwissend und allgegenwärtig ist. Er ist Schöpfer des Universums, manche sehen ihn als Richter, andere als Lenker, wieder andere glauben, er greift gar nicht in das Leben der Menschen ein. In den antiken Pantheons gibt es ganze Götterfamilien, die ihrem Wesen nach ähnlich dem der Menschen sind. Sie werde von Leidenschaften getrieben, haben Ängste, führen Kriege. Sie sind mächtiger als Menschen, aber nicht unbedingt allmächtig und auch nicht unsterblich.
Neben den Theologien der Religionen gibt es auch psychologische und soziologische Modelle. Durkheim sieht in Göttern abstrakte Idealbilder von Gesellschaften. Der Philosoph Ludwig Feuerbach schließt sich dem an und beschreibt Gott als absolutes Ideal, das alle Eigenschaften vereint, die der Mensch für wünschenswert, aber nicht erreichbar hält. Einen ähnlichen Weg geht der Psychologe Car Gustav Jung. Er beschreibt in seiner Tiefenpsychologie Archetypen, die bestimmte Eigenschaften des Menschen verkörpern und z.B. in Märchen und Mythen auftreten. In diesem Verständnis ist z.B. Aphrodite eine Verkörperung der Liebe, der christliche Gott ist ein Archetypus des Vaters, etc.
Diese Modelle fragen nach der Funktion von Gott in der Religion und klammern die Frage nach seiner Existenz aus oder lehnen sie ab. Wie oben bereits angedeutet spielen Gott/Götter verschiedene Rollen in Religionen. Einige davon werde ich im nächsten Absatz beschreiben.
Was tut Gott?
Über die Entstehung unserer Welt gibt es viele Theorien. In den Mythologien waren meist Götter maßgeblich an der Erschaffung der Welt beteiligt. Die Genesis berichtet davon, wie Gott innerhalb von sechs Tagen erschaffen hat. Am siebten Tag ruhte er und darauf beruhen auch heute unsere freien Sonntage, an denen nicht gearbeitet werden darf. In der germanischen Mythologie wird beschrieben, wie die Götter die Welt aus dem Riesen Ymir geschaffen haben, den sie erschlugen. Natürlich hat sich auch die Wissenschaft sich mit der Entstehung des Universums beschäftigt und geht von der Urknall-Theorie aus.
Dies alles sind unterschiedliche Erklärungsmodelle, die die Existenz der Welt und der Menschheit erläutern. Dabei stellen die Ansätze unterschiedliche Fragen, z.B. fragt die Wissenschaft, wie das Universum entstanden ist, Religion fragt warum. Daraus ergeben sich dann auch dementsprechend verschiedene Konsequenzen für den Sinn des Lebens. Auch der Umgang mit der Wahrheit ist unterschiedlich: Wissenschaft ist kritisch, d.h. wenn jemand mit wissenschaftlichen Methoden das Gegenteil einer gängigen Theorie beweisen kann, wird diese Theorie revidiert. Dogmatische Religionen hingegen gehen davon aus, dass ihre Wahrheit absolut ist. Die meisten Religionen stehen den Erkenntnissen der Wissenschaft prinzipiell aber aufgeschlossen gegenüber.
Das Fortbestehens des Universums wird in vielen Religionen Gott bzw. den Göttern zugeschrieben. Ihr Handeln bewirkt, dass die Sonne jeden Tag aufgeht, dass sich die Jahreszeiten abwechseln und die Ernte gedeiht. Je nach Kultur werden entsprechende Gottheiten verehrt. Darüber hinaus greifen sie in das Schicksal der Menschen ein, wenn dies nötig wird.
Aus der Mythologie ergibt sich in der Regel auch eine Ethik, Regeln, die darüber bestimmen, was gut und was böse ist. Heilige Schriften berichten darüber, welches Verhalten belohnt wird und welches bestraft. Meist ist dies mit Jenseits-Vorstellungen wie Himmel und Hölle verbunden. Einen anderen Ansatz bietet die Idee von Karma und Wiedergeburt: alle Taten haben Folgen - wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten. Was in der westlichen Welt in Fragen gesellschaftlicher Entwicklung als “richtig” angesehen wird (beispielsweise Abtreibung, Ehe, Medizin), ist immer noch maßgeblich vom Christentum bestimmt, aber natürlich gibt es auch philosophische Konzepte, die moralisches Handeln ohne Gott beschreiben.
Viele Religionen versuchen, Menschen durch das Prinzip der Strafe zu moralischem Handeln zu bringen. Mit umfassenden Mythologien haben sie Antworten auf alle Fragen und ihre Anhänger können sich danach richten. Für manche Menschen ist das vielleicht auch ausreichend. Andere fragen aber immer weiter und die Begründung “weil Gott es so will” oder “weil der Staat folgendes Gesetz erlassen hat” ist nicht befriedigend.
Im Heidentum ist das eigenständige Denken und die persönliche Erfahrung sehr wichtig. Die Erkenntnis, was gutes oder schlechtes Handeln ist ist als Eigenleistung erstrebenswert, denn absolute Wahrheiten gibt es nicht. Was gut und was böse ist, kann von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein. Ethisches Handeln funktioniert aber auch unabhängig davon und von Gott und Göttern als Vollstrecker von Strafen: nahezu alle Religionen vertreten im Endeffekt die Goldene Regel “Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.” Im Christentum drückt sich das im Lehrsatz “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst” aus. Im Heidentum heißt es, dass alles was du tust, (dreifach) auf dich zurückfällt.
Was passiert aber, wenn die Verehrung der Gottheit, ob nun als Herr über das Schicksal oder als Schöpfer der Welt, entfällt? Wie drückt sich Religion ohne Gott aus?
©kb