Religion ohne Gott

Gehen wir von Schleiermachers Beschreibung von Religion als “Anschauung und Gefühl” und “Sinn und Geschmack fürs Unendliche” aus, haben wir einen Ansatz, der auch ohne Gott funktioniert. Der Religionswissenschaftler Bron Taylor hat ein Konzept entwickelt, um sogenannte “grüne” Religionen zu beschreiben. In erster Linie sind damit Religionen gemeint, die den Erhalt der Umwelt als religiöse Pflicht ansehen - ein Thema, das mittlerweile in allen großen Religionen Beachtung findet. Dann geht Taylor aber noch einen Schritt weiter zu “dunkelgrüner” Religion - dark green religion. Hier wird die Natur nicht nur als schützenswert betrachtet, sondern als heilig. Sie ist ein Wert an sich und bekommt ihn nicht erst durch Gott (z.B. als Schöpfer) oder den Menschen (in der Rolle als Versorgerin der Menschheit). Damit ist dark green religion nicht a-religiös, sondern funktioniert auch ohne personales Gottesbild, quasi “a-theistisch”.

 

Dark green religion zeichnet sich durch ein tiefes Gefühl der Verbundenheit zur Natur aus. Dies basiert auf der Verwandtschaft allen Lebens. Gestützt wird dies nach Ansicht der Anhänger von dark green religion durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionslehre. Der Mensch sollte dementsprechend eine demütige Haltung gegenüber der Natur einnehmen und sich von der Vorstellung menschlicher Überlegenheit abwenden. Daher lehnt dark green religion abrahamitische Religionen tendenziell ab, da in dieser traditionell Menschen die Natur abwertend betrachten. Dies spiegelt die Glaubenswirklichkeit der meisten Christen heute aber wohl nicht mehr wider.

 

Soweit wird eine Haltung beschrieben, die in vielen neuheidnischen Traditionen vorhanden ist, sich aber durchaus auch in anderen Kontexten findet. Dieser Ansatz lässt sich auch nicht völlig vom Pantheismus abgrenzen, in dem ebenfalls kein klassisches Gottesbild als eigenständige Entität vorhanden ist.

 

Taylor geht wie auch andere Religionswissenschaftler davon aus, dass diese Form der Naturreligion (sowie das Neuheidentum allgemein) eine Art Gegengift zu der westlichen Krise der Spiritualität, der sozialen Gewalt, ökonomischen Ungleichheit und der Gefühlslosigkeit gegenüber allem Nichtmenschlichen bietet.

 

Quellen für dark green religion sind wissenschaftliche Werke wie Darwins Evolutionstheorie oder ethnologische Texte. Grundlegende Paradigmen sind Animismus, der Glaube an die Beseeltheit der Natur und der Pantheismus. Es ist aber auch eine atheistische Auslegung möglich, da sich dark green religion nicht auf das Jenseits oder die Verehrung von transzendenten Wesen richtet. Wichtig ist das Leben in unserer jetzigen Welt und der Erhalt der Natur für zukünftige Generationen. Natur wird dabei als Gegensatz von Kultur und Menschengemachtem verstanden. Ihr Wert wird nicht alleine an ihrer Nutzbarkeit für den Menschen gemessen.

 

Spirituelle Praxis ohne Gott

Jahreskreis, Bild: Midnightblueowl
Jahreskreis, Bild: Midnightblueowl

Ziel atheistisch-ausgerichteter naturreligiöser Praxis ist die Verehrung der Natur. Dies kann individuelle Formen annehmen oder ähnlich wie anderer neuheidnischer Rituale z.B. aus Wicca oder Schamanismus aussehen. Wenn unsere Erde (oder das gesamte Universum) ein System darstellt, in dem alles miteinander verbunden ist, ist es dem Menschen möglich, diese Allverbundenheit zu spüren, beispielsweise im Rahmen eines Rituals oder einer Meditation. Indem man im Einklang mit den Rhythmen der Natur und den Himmelskörpern lebt und die ihnen zugrunde liegenden Gesetzte versteht ist man in der Lage, Magie zu wirken. Magie wird hier nicht als übernatürliches Mittel der Wunscherfüllung angesehen, sondern als religiöse Praxis und Weg der Selbstverwirklichung.

 

Konkret bedeutet dies zum Beispiel, die Jahreskreisfeste zu feiern, die in vielen neuheidnischen Traditionen bekannt sind. Der Jahreskreis bringt die Menschen in Einklang mit der Natur und dem Wechsel der Jahreszeiten. In einer Zeit von elektrischen Licht, Zentralheizungen und Supermärkten ist der Mensch den natürlichen Zyklen “entfremdet”.

 

Im Winter ist es kalt und dunkel - aber nur draußen, denn drinnen wärmt die Heizung. Es ist auch keine Zeit des Rückzugs und des Geschichten Erzählens - die Bürozeiten ändern sich im Winter nämlich auch nicht. Insofern man nicht irgendwie mit der Landwirtschaft zu tun hat, sind einem die Abläufe von Saat, Wachstum und Ernte hauptsächlich aus dem Biologie-Unterricht bekannt und fallen höchstens noch durch Sonderangebote im Supermarkt auf.

 

Mithilfe der Jahreskreisfeste kann man sich wieder darauf zurückbesinnen, welche Rolle die Natur in unserem Leben spielt und wie sie sich auf uns und unsere Stimmung auswirkt. Wicca erklärt den Jahreskreis anhand der Geschichte von Gott und Göttin. In einem atheistischen Verständnis werden diese als Metaphern für Sonne und Erde, als männliches und weibliches Prinzip gesehen. Im Mittelpunkt ritueller Praxis stehen die Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde.

 

Meditation ist ein weiterer Weg, um spirituelle Erfahrungen zu sammeln. Es gibt eine große Auswahl an Formen wie Trance, Atemübungen oder Yoga, die unterschiedliche Ziele haben und verschiedene Erlebnisse auslösen können. Auch hier geht es darum, sich selbst besser zu verstehen und sich in Einklang mit sich selbst und der Natur zu bringen.

 

 

Wo es im Universum die Möglichkeit für Leben gibt, da entsteht auch Leben. Der Endzweck des Universums ist es, Leben hervorzubringen, und der Endzweck des Lebens ist es, erfahrene Seelen zu schaffen, um die Harmonie im Kosmos zu verwirklichen.

(Werner Braun)

 

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